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Bachs Dialogkantatenvon Karl Böhmerfor an ENGLISH TRANSLATION, click here Im barocken Widerstreit zwischen "Amor divinus" und "Amor profanus", der himmlischen und der weltlichen Liebe, steht der Thomaskantor Johann Sebastian Bach scheinbar eindeutig auf einer Seite. Die "Unio mystica" mit Jesus hat kein Komponist der protestantischen Kirchenmusik inbrünstiger besungen als er. Und doch mischt sich in diese Jesusliebe, wie etwa auch in den katholischen Mystizismus einer Theresia von Avila, mehr als nur eine Andeutung weltlich-profaner Erotik. Psychoanalytiker würden dahinter sicherlich sublimierte Frustrationen vermuten, Sexualität, die sich im regressiven Milieu der orthodoxen Lutheraner nicht voll entfalten durfte. Das Gegenteil war der Fall: Weltliche und geistliche Liebe waren für den mondänen Spätbarock längst keine Gegensätze mehr. Die Magdalenen hatten ihre Hüllen fallen lassen, man schätzte auch in der Kirchenmusik zunehmend die unverstellte Leidenschaft nach dem Modell der Opera seria. Für Bach war dies ein Ventil, seine ungestillte Sehnsucht nach der Oper zu befriedigen, und zwar völlig legitim, goutiert von der Leipziger Gemeinde und getragen vom spätbarocken Zeitgeist. Schließlich fungierten die allsonntäglichen "Hauptmusiken" des Director musices ab 1723 als Ersatz für die zwei Jahre zuvor geschlossene Leipziger Oper. In Bachs sogenannten "Dialogi" wird diese Opernnähe am deutlichsten. In diesen Kantaten wird Jesus (Baß) zum Liebhaber und die Seele (Sopran) zur Geliebten. Sie schmückt sich, ganz im Sinne des Hohenliedes, vor einem imaginären Spiegel für den Bräutigam: "Ich bin herrlich, ich bin schön". Er verspricht: "Auf meiner Linken sollst Du ruhen, und meine Rechte soll Dich küssen." Liebesleid wird opernhaft ausgelebt: "Ich wünschte mir den Tod, wenn du mein Jesus mich nicht liebtest." Und selbst Choralstrophen werden zu Liebeserklärungen umgedeutet: "Richte dich, Liebste, nach meinem Gefallen und gläube!" Der Kantorenrevers, in dem Bach versprochen hatte, seine Kirchenmusik werde "nicht opernhaftig herauskommen", hinderte ihn nicht daran, diesen Stücken den gesamten Affektradius der Oper zu verleihen. Man hört schmachtende Siciliani, verzweifelte Lamenti, kesse Menuette und wirbelnde Giguen. Von hier zur echten weltlichen Kantate ist es nur noch ein Schritt. Wenn das Bürgermädel Liesgen in Bachs "Kaffeekantate" singt: "Ach, ach ein Mann, wahrlich dieser steht mir an", und das Orchester zum ausgehaltenen "steht" sein "heute noch" intoniert, wird klar, daß sie es auf mehr als Händchenhalten vor dem Schlafengehen abgesehen hat. Unschwer könnte dieses "heute noch" von der Seele kommen, die ihre Aufnahme in den Schoß des Herrn feiert.
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Dick Wursten (dick@wursten.be) |